Nußloch, 28.01.2023
Der NABU Leimen-Nußloch bedankt sich ganz herzlich bei allen Bürgerinnen und Bürgern, die am 22.01.2023 zur Wahl gegangen sind und bei dem Bürgerentscheid mit NEIN gestimmt haben. Wir freuen uns, dass es gelungen ist
Fast 70% der abgegebenen Stimmen haben bei dem Bürgerentscheid am 22.01.2023 in Nußloch mit NEIN gestimmt und damit die geplante Aufstellung eines Bebauungsplans für das Gebiet „Ortseingang Nord
– Steinäcker“ abgelehnt. Der NABU Leimen-Nußloch hat sich von Beginn an gegen das Projekt ausgesprochen. Das von der Mehrheit des Gemeinderats unterstützte Bauvorhaben hätte zahlreiche negative
ökologische Auswirkungen gehabt (s. unten).
Die für einen Bürgerentscheid außerordentlich hohe Wahlbeteiligung von knapp 57% zeigt, dass Klima- und Artenschutz für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger von großer Bedeutung ist. Wir freuen uns
sehr, dass unsere Argumente für den Erhalt der Natur vor Ort bei so vielen Bürgerinnen und Bürgern Gehör gefunden haben.
Die Universität Heidelberg hat den Bürgerentscheid mit einer Studie begleitet. Die mittlerweile vorliegende Auswertung dieser Studie hat ergeben, dass etwa 20% der Personen, die abgestimmt haben,
an der vorangegangenen Gemeinderatswahl 2019 nicht teilgenommen hatten. Das Thema „Bebauungsplan“ hat also viele Mitbürgerinnen und Mitbürger motiviert abzustimmen. Auch eine Mehrheit der
Wählerinnen und Wähler, die bei der letzten Gemeinderatswahl eine der Parteien gewählt haben, die das Bauvorhaben unterstützen, haben bei dem Bürgerentscheid mit NEIN gestimmt (CDU 64%, FDP 63%,
SPD 70%). Das Bauvorhaben wird also von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt unabhängig ihrer Parteienpräferenz. Auch die von einigen Vertretern aus dem Gemeinderat gewünschte reine
Wohnbebauung wird laut der Studie von über 90% der Bürgerinnen und Bürger abgelehnt, die beim Bürgerentscheid mit NEIN gestimmt haben.
Der sehr klare Wählerwille zeigt, dass die Artenschutz- und Klimakrise von vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ernst genommen wird und dass der Wunsch besteht, dass die verantwortlichen
Politikerinnen und Politiker das in ihren Entscheidungen berücksichtigen.
Das Festhalten an einem über fünfzehn Jahre alten Plan ignoriert die aktuelle Situation im Jahr 2022!
Für die geplante Bebauung am Ortseingang Nußloch wird ein fast zwanzig Jahre alter Flächennutzungsplan als „Begründung“ herangezogen (s. Abb.1, Beschriftung „E“). Die Fläche, die bebaut werden soll, liegt am nördlichen Ortsrand von Nußloch im Bereich des Grüngürtels, der sich zwischen Leimen und Nußloch erstreckt (s. Abb.2). Die Fläche wurde vor dem Jahr 2006 in den Flächennutzungsplan aufgenommen. Die jetzt geplante Umsetzung ignoriert komplett, dass wir uns mittlerweile im Jahr 2022 befinden und uns aktuell mit zwei globalen Krisen auseinandersetzen müssen, der Klimaerwärmung und dem drohenden Verlust der Biodiversität. Ein unreflektiertes Festhalten an einer überholten Planung ist schlicht unverantwortlich!
Was hat ein Bauprojekt für einen Supermarkt in Nußloch mit der Klimakrise zu tun?
Wir befinden uns mitten in einer globalen Klimakrise (s.Abb.3). Im Pariser Klimaabkommen hat sich die Weltgemeinschaft darauf verständigt, die Erderwärmung auf
höchstens 1,5 Grad zu begrenzen. Ob dieses Ziel noch erreicht werden kann ist fraglich.
Es geht nicht mehr darum, ob sich das Klima erwärmt, sondern nur darum, wie stark am Ende die Klimaerwärmung ausfallen wird. Das Umweltbundesamt hat daher im
Auftrag der Bundesregierung eine „Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 für Deutschland“ (Quelle UBA, 2021) erstellt. Diese Analyse zeigt für die einzelnen Regionen in Deutschland auf, wie sich
das lokale Klima voraussichtlich ändern wird und worauf man sich vor Ort vorbereiten sollte, um die Auswirkungen auf die Bevölkerung zu begrenzen. Die Gemeinde Nußloch liegt im „roten“ Bereich
(s. Abb.4), gehört damit also zu den wärmsten Gebieten Deutschlands.
Worauf müssen sich die Einwohner der Gemeinde Nußloch also einstellen?
Extreme Hitze wird stark zunehmen, besonders im bebauten Bereich. Wenn es in den Ortschaften aber immer wärmer wird, werden die vorhandenen Grünflächen zum Abpuffern der Temperatur immer wichtiger. In den rot gekennzeichneten Gebieten müßte also dringend mehr Grün ins Siedlungsgebiet gebracht werden.
Mit dem Baugebiet plant man ohne Not eine weitere Grünfläche in Beton und Asphalt umzuwandeln und den Grüngürtel zu verkleinern!
Die Trockenheit wird zunehmen. Weideflächen liefern aber bei erhöhter Trockenheit weniger Ertrag. Die regionalen Betriebe sind daher auf ausreichend große Flächen in Hof Nähe angewiesen, um überleben zu können.
Mit dem Baugebiet plant man den örtlichen, landwirtschaftlichen Betrieben die nächste Fläche wegzunehmen. Wohin sollen die Landwirte denn ausweichen, um Tiere weiden zu lassen?
Es wird häufiger Starkregenereignisse geben, unversiegelte Flächen werden daher zum Abpuffern der Wassermassen immer wichtiger.
Mit dem Baugebiet plant man die nächste Fläche zu versiegeln!
Verantwortliches Handeln bedeutet sich auf Folgen des Klimawandels vorzubereiten. Die geplante Bebauung „Ortseingang Nord – Steinäcker“ wird die absehbaren Folgen für die Nußlocher Bürgerinnen und Bürger sehr wahrscheinlich verschärfen.
Was hat ein Bauprojekt für einen Supermarkt in Nußloch mit der Biodiversitätskrise zu tun?
Neben der Klimakrise rückt die rasante Abnahme der lokalen und globalen Artenvielfalt langsam, aber sicher ins öffentliche Bewusstsein, wie das Volksbegehren
Artenschutz - "Rettet die Bienen" 2020 gezeigt hat. Die Biodiversitätskrise bedroht die Menschheit mindestens so sehr wie die Klimakrise. Darauf weist eindringlich auch die 15. UN
Biodiversitätskonferenz hin, die gegenwärtig (vom 05. – 17. Dezember 2022) in Montreal stattfindet. Wir befinden uns mitten im sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte (s. Abb.5). Auch bislang
häufige Arten verzeichnen dramatische Einbrüche in ihren Beständen (s.Abb.6).
Beim Erhalt der Biodiversität geht es nicht um das Überleben eines einzelnen schönen Schmetterlings oder Vogels. Es geht um den Erhalt einer intakten Umwelt mit sauberem Wasser, fruchtbaren Böden und ausreichend Nahrung für kommende Generationen.
Es liegt also im Interesse von uns Menschen die natürliche Vielfalt um uns herum zu erhalten.
Sieht man sich das Gebiet, auf dem der Supermarkt gebaut werden soll, im größeren Rahmen von oben an (s. Abb.7), so erkennt man sehr gut wie das Siedlungsgebiet der Ortschaften Sandhausen, St. Ilgen, Leimen und Nußloch dabei ist zusammenzuwachsen. Der grün eingeklammerte Bereich markiert die noch verbliebenen Reste des wertvollen Ökosystems aus Streuobstwiesen und Gärten zwischen Leimen und Nußloch (weitgehend oberhalb der L594). Der rote Kreis zeigt das Areal an, das jetzt für den Supermarkt bebaut werden soll. Bei der Errichtung des Supermarktes würden weitere 5-8% dieses Ökosystems verloren gehen.
Die LUBW (Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg) hat landesweit eine Streuobsterhebung durchgeführt. Streuobstwiesen sind ein ökologisch besonders wertvoller Lebensraum und in Baden-Württemberg auch besonders geschützt. Die Karte zeigt deutlich, dass die Streuobstwiesen bis in das geplante Baugebiet hineinreichen (s. Abb.8).
Die angrenzende Wiese wird gegenwärtig als Schafweide genutzt. Ökologisch sind Randstrukturen wie hier der Übergang der Streuobstwiese zur reinen Wiese besonders wertvoll, weil hier zusätzliche ökologische Nischen entstehen. Vögel nisten zum Beispiel in den alten Obstbäumen, suchen aber auf der angrenzenden Wiese nach Nahrung. Beispiele hierfür sind die auf Ameisen als Nahrung spezialisierten Arten Wendehals und Grünspecht. Eine Weidetierhaltung wie sie vom Ziegenkäsehof und Schafhof betrieben werden sind ökologisch gesehen von herausragender Bedeutung, da viele Insekten von den Weidetieren profitieren und von diesen wiederum viele Vogelarten.
Auswirkungen des Bauprojekts auf die lokale Artenvielfalt
Das Gebiet zwischen Leimen und Nußloch bietet selbst in seiner jetzt schon sehr kleinen Ausdehnung noch Lebensraum für eine ganze Anzahl an seltenen und bedrohten Vogelarten (s. Abb.9). Viele Vögel brauchen für die Jungenaufzucht Insektennahrung, hierfür sind Weidetiere sehr wichtig. Der Ziegenkäsehof und der Schafhof sind daher von großer ökologischer Bedeutung. Wenn die Betriebe verschwinden oder die Anzahl der Weidetiere verringert wird, hat das Auswirkungen auf die Vogelwelt in der Umgebung. Wendehals und Grünspecht suchen z.B. am Boden nach Nahrung (Ameisen), profitieren direkt von den Weidetieren, da der Boden dadurch an einigen Stellen offengehalten wird. Neuntöter jagen bevorzugt Großinsekten wie z.B. Mistkäfer. Rauchschwalben brüten in den Tierställen und Mehlschwalben profitieren von den Fluginsekten.
Von den Vogelarten, die vom NABU in den letzten Jahren in den Streuobstwiesen und Gärten zwischen Leimen und Nußloch beobachtet werden konnten, stehen die folgenden bereits auf der roten Liste der bedrohten Tierarten (s. auch Abb. 9):
Der früher allgegenwärtige Star steht deutschlandweit in der Kategorie 3 „gefährdet“, in Baden-Württemberg auf der Vorwarnliste.
Die Mehlschwalbe befindet sich deutschlandweit ebenfalls in der Kategorie 3, die Rauchschwalbe auf der Vorwarnliste.
Der Gartenrotschwanz kann in dem Gebiet noch regelmäßig beobachtet werden. In Baden-Württemberg sind die Bestände innerhalb von 25 Jahren um mehr als 20% eingebrochen, er steht jetzt ebenfalls auf der Vorwarnliste.
Mit dem Wendehals kommt in dem Gebiet noch eine echte Rarität mit mehreren Paaren vor. Der kleine Specht steht in Baden-Württemberg in der Kategorie 2 "stark gefährdet" mit Bestandseinbrüchen größer als 50% in 25 Jahren.
Die Turteltaube, die ebenfalls in die Kategorie 2 fällt, wurde vom NABU das letzte Mal 2009 in dem Gebiet beobachtet. Es muß daher davon ausgegangen werden, dass die Art in dem Gebiet endgültig verschwunden ist.
Jede weitere Verkleinerung des Gebietes wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Verringerung der Bestände führen, ggf. auch zu einem völligen Verschwinden weiterer Arten.
Auswirkungen des Bauprojekts auf die lokale Artenvielfalt durch Randeffekte!
Durch die geplante Bebauung der Fläche mit einem Supermarkt geht nicht nur die direkt verbaute Fläche für die
Natur verloren, auch die angrenzenden Gebiete werden ökologisch stark beeinträchtigt. Es gibt Randeffekte, die weit über den bebauten Bereich hinausgehen. Ein Einkaufszentrum verursacht eine
deutlich größere Lichtverschmutzung als eine Wohnbebauung. Unter Lichtverschmutzung versteht man die Aufhellung des Nachthimmels durch künstliche Lichtquellen. Licht ist der stärkste Zeitgeber,
nach dem sich nahezu alle Organismen dieses Planeten richten. Seit rund drei Milliarden Jahren ist der Hell-/Dunkelrhythmus in den Genen fast aller Organismen fest verankert. Er steuert so gut
wie alle lebenswichtigen Prozesse. Vor allem Wach- und Schlafphasen sowie Zell-Reparatur und -Regeneration. Mehr als 60% aller Lebewesen sind nachtaktiv. Sie werden durch das künstliche Licht
geblendet, verdrängt oder irritiert. Es kommt zu Verhaltensänderungen, Verschiebungen von Räuber-Beute-Beziehungen und Verkleinerungen von Lebensräumen. Für unzählige Insekten wird Licht zur
tödlichen Falle. Eine ausführliche Beschreibung der Auswirkungen von Lichtverschmutzung finden Sie hier. Lichtreklame sowie die langen Öffnungszeiten werden unzweifelhaft die angrenzenden Lebensräume deutlich
negativ beeinflussen.
Neben der Lichtverschmutzung wird auch der mit einem Einkaufszentrum einhergehende zusätzliche Lärm sowie die „Unruhe“ durch die Bewegungen die angrenzenden Gebiete ökologisch entwerten. Dass durch Lärm und Bewegung die meisten Arten unserer heimischen Tierwelt vertrieben werden, ist unstrittig und auch den meisten Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus eigener Erfahrung vertraut. Die Zeitspanne der Beunruhigung geht durch den notwendigen Anlieferverkehr noch weit über die geplanten Öffnungszeiten des Einkaufszentrums hinaus. Es gibt gute Gründe, warum fast alle Nationalparks und großen Schutzgebiete eine „Pufferzone“ um die ökologisch wertvollsten Gebiete ausweisen, um diese von den angesprochenen Randeffekten abzuschirmen.
Der Flächennutzungsplan, der jetzt umgesetzt werden soll, ist mehr als 15 Jahre alt. In der Zwischenzeit hat sich vieles verändert. Klimakrise und Artenschwund
haben an Bedrohung dramatisch zugenommen. Wenn wir nicht anfangen, den Klimawandel und den Artenschwund auch vor Ort ernst zu nehmen und unser Verhalten entsprechend danach ausrichten, können wir
das auch von anderen nicht erwarten.
Wie aus den oben dargelegten Fakten klar hervorgeht, würde die Bebauung am Ortseingang Nußloch-Nord durch einem Lebensmittelmarkt mit angegliederter Wohnbebauung
mit gravierenden ökologischen Schäden einhergehen. Die Probleme von heute können nicht mit Konzepten von Vorgestern gelöst werden. Die Knappheit an bezahlbarem Wohnraum muß durch eine engagierte
Innenentwicklung und die Beseitigung von Leerstand behoben werden, nicht durch die Vernichtung von ökologisch wertvollen Flächen am Ortsrand.
Das Vorhaben ist aus Sicht des NABUs unverantwortlich und völlig aus der Zeit gefallen. Wir können nur an alle verantwortungsbewussten Bürgerinnen und Bürger in
Nußloch appellieren diesem Unfug bei der Abstimmung am 22. Januar klar zu widersprechen.
Bitte machen Sie von Ihrem Wahlrecht Gebrauch! Gartenrotschwanz, Wendehals und Co. haben keine Stimme. Unsere Kinder und Enkel brauchen eine intakte Umwelt.
Bitte stimmen Sie am 22.01.2023 auf die Frage „sind Sie für die Aufstellung des Bebauungsplans ‚Ortseingang Nord– Steinäcker‘ zum Bau eines Lebensmittelmarktes mit ergänzender
Wohnbebauung?“ mit NEIN!
Hier finden Sie den Vortrag, den der NABU am 27.10.2022 auf der Informationsveranstaltung gehalten hat.